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Environmental Humanities

PROFIL

Seit den 2010er Jahren firmieren die unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen (von den Literatur-, Bild- und Kulturwissenschaften über die Religions- und Geschichtswissenschaften bis hin zu Medien- und Politikwissenschaften) sowie die sozialwissenschaftlichen Fachbereiche, die sich insbesondere für die Wechselbeziehung zwischen kulturellen Praktiken und Ökosystemen, für die gemeinsame Geschichte von Literatur und Umwelt(-Bewusstsein), für die mediale Darstellung nichtmenschlicher Handlungsvermögen oder die Ästhetik und Rhetorik der Umweltwissenschaften interessieren, unter dem Dachbegriff der ‚Environmental Humanities‘ (EH). Grundkonsens dieser umweltbezogenen Geistes- und Sozialwissenschaften ist spätestens seit der Einführung des Anthropozänbegriffs ab dem Jahr 2000 die Überzeugung, dass Erd- und Menschheitsgeschichte nicht länger als getrennte Einheiten verstanden und untersucht werden können. Vielmehr gilt es, die Verflechtungen zwischen kulturellen Handlungen und umweltspezifischen Konstellationen, zwischen menschlicher und mehr-als-menschlicher Agency einsichtig werden zu lassen und der Frage nachzugehen, in welchem Verhältnis materielle, mediale und semiotische Umweltbeziehungen zueinanderstehen. Das Narrativ einer vermeintlichen Trennung zwischen Natur und Kultur sowie zwischen gesellschaftlichen und ‚natürlich‘-physikalischen Prozessen wird dabei grundlegend hinterfragt und insofern gewendet, als die EH nunmehr die Formen und Funktionen einer insbesondere in westlichen Gesellschaften seit Beginn der Neuzeit virulenten Arbeit an der Konstruktion, Stabilisierung und Zementierung von Natur-Kultur-Dichotomien in ihren jeweiligen historisch und kulturell variablen Kontexten freilegen. Dabei stehen die Environmental Humanities nicht in Opposition zu, sondern im Dialog mit den Natur- und Umweltwissenschaften. Neben dem Bewusstsein einer Interdependenz zwischen ‚Natur‘ und ‚Kultur‘, die eine Überwindung der bis ins 20. Jahrhundert dominierenden ‚two cultures‘-Mentalität der Natur- und Geisteswissenschaften erfordert, wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit auch von der Annahme getragen, dass Geistes- und Naturwissenschaften sich wechselseitig informieren, reflektieren und angesichts aktueller klimatischer und ökologischer Polykrisen zu jeweils neuen Perspektiven und Szenarien anregen lassen sollen. Als in sich differenziertes Feld, das theoretisch und methodisch deutlich pluralistisch aufgestellt ist, verbinden die EH u.a. Ansätze der Animal Studies, Plant Studies, Anthropocene Studies,  Climate Studies sowie die vornehmlich in den Literaturwissenschaften zur Anwendung gebrachen Spielarten des Ecocriticism (u.a. Material Ecocriticism, Postcolonial Ecocriticism) und rezente Erweiterungen wie z.B. die Blue Humanities, die non-terrestrische Perspektiven auf Wasserlandschaften entwickeln und mit Fragen einer liquiden Methodenbildung verknüpfen. Grundsätzlich geht es den EH um eine kritische Auseinandersetzung mit Anthropozentrismen und um das Ziel der Erhaltung und Berücksichtigung von Existenzgrundlagen aller Lebewesen. Mit diesen Zielsetzungen verschränken sich Theoriebildung und methodische Erprobung einer Integration mehr-als-menschlicher Perspektiven in die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Insofern lassen sich die EH auch auf die paradoxe, aber produktive Formel der ‚More-than-human Humanities‘ bringen.
Die EH haben sich in der internationalen Forschungslandschaft als eigenständiges Forschungsfeld mit internationalen Journals (z.B. https://environmentalhumanities.org;www.resiliencejournal.org; https://www.environmentandsociety.org/arcadia), Handbüchern (z.B. Hubbell/Ryan 2022; Bergthaller/Mortensen 2018; Heise/Christensen/Niemann 2017) und wissenschaftlichen Netzwerken etabliert – wenngleich
sie im deutschsprachigen Raum noch deutlicher institutionell verankert werden müssen.

Das FF möchte den interdisziplinären Dialog zwischen den verschiedenen Fachbereichen und Wissenschaftler:innen befördern, die an der Goethe-Universität im Bereich der EH arbeiten. Es setzt sich darüber hinaus zum Ziel, zur Schärfung einer transdisziplinären Theoriebildung und methodologischen Reflexion der EH einen grundlegenden Beitrag zu leisten und sowohl die historischen als auch die ästhetischen und politischen Dimensionen eines ökologisch reflektierten Nachdenkens über mehr-als-menschliche Welten und naturkulturelle Verbindungen zu beleuchten.

Weitere Beteiligte:

Esther Köhring (Theaterwissenschaften/ NDL)
Martina Wernli (NDL)
Achim Geisenhanslüke (AVL)
Nicolaus Müller-Schöll (Theaterwissenschaften)
Robert Pütz (Humangeographie)
Verena Kuni (Visuelle Kultur)
Kathrin Bartha-Mitchell (IEAS, NELK)

LEITUNG

Verbund-, Gruppen- und Einzelforschungen

Verbund-, Gruppen- und Einzelforschungen

Transdisziplinäre Arbeitsgruppe „Multispecies Perspectives: Shared Spaces – More-than-Human Societies – Eco-Sympoetics“ (seit 2020) mit regelmäßigen Arbeitstreffen, Workshops und weiteren Veranstaltungen. Im Zentrum stehen die Erforschung mehr-als-menschlicher Perspektiven, ihrer Bedeutungen und Modi sowie die Entwicklung hierfür geeigneter transdisziplinärer Konzepte und Methoden.

Mitglieder: Roland Borgards (Germanistik), Frederike Felcht (Skandinavistik), Sven Grawunder (Empirische Sprachwissenschaften/ Phonetik und Sprachdokumentation), Vinzenz Hediger (Filmwissenschaften), Verena Kuni (Visuelle Kultur), Frederike Middelhoff (Germanistik), Robert Pütz (Humangeographie), Antje Schlottmann (Geographie und ihre Didaktik), Gisela Welz (Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie). 

Referenzliteratur

Referenzliteratur

  • Bergthaller, Hannes, Peter Mortensen (Hg.): Framing the Environmental Humanities. Leiden 2018.

  • Bühler, Benjamin: Ecocriticism. Grundlagen –Theorien – Interpretationen. Stuttgart 2016.

  • Cohen, Jeffrey Jerome und Stephanie Foote (Hg.): The Cambridge Companion to Environmental Humanities. Cambridge 2021.

  • Borgards, Roland, Frederike Middelhoff, Barbara Thums (Hg.): Romantische Ökologien. Vielfältige Naturen um 1800. Heidelberg, Berlin 2023.

  • Borgards, Roland, Lena Kugler, Mira Shah: Pazifische Passagen. Ein Insularium des Großen Ozeans. Göttingen 2023.

  • DeLoughrey, Elizabeth und George B. Handley (Hg.): Postcolonial Ecologies: Literatures of the Environment. Oxford, New York 2011.

  • Dürbeck, Gabriele und Urte Stobbe (Hg.): Ecocriticism. Eine Einführung. Köln 2015.

  • Felcht, Frederike und Katie Ritson (Hg.): The Imagination of Limits: Exploring Scarcity and Abundance, RCC Perspectives 2 2015.

  • Felcht, Frederike: Spezies Mensch. Theorien der Menschheit in Biopolitik und Anthropozän, in:Hannes Bajohr (Hg.): Der Anthropos im Anthropozän. Die Wiederkehr des Menschen im
    Moment seiner vermeintlich endgültigen Verabschiedung, Berlin/Boston 2020, 97–113.

  • Felcht, Frederike: Biodiversität und Naturschutz in Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden (1906/1907), in: Jahrbuch der Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung 2022: Natur schreiben, 63–76.

  • Lemke, Thomas und Katharina Hoppe: Neue Materialismen zur Einführung. Hamburg 2021.

  • Heise, Ursula, Jon Christensen, Michelle Niemann (Hg.): The Routledge Companion to the Environmental Humanities. New York 2017.

  • Hubbel, J. Andrew und John C. Ryan: Introduction to the Environmental Humanities. New York 2022.

  • Mentz, Steve: Blue Humanities Thinking, in: ders.: An Introduction tot he Blue Humanities. New York 2023.

  • Middelhoff, Frederike, Sebastian Schönbeck, Roland Borgards, Catrin Gersdorf (Hg.): Texts, Animals, Environments. Zoopoetics and Ecopoetics. Freiburg i.Br. 2019.

  • Middelhoff, Frederike und Arnika Peselmann (Hg.): Narrative Culture 10/2 (2023): The Stories Plants Tell.

  • Oppermann, Serpil und Serenella Iovino (Hg.): Material Ecocriticism. Indiana 2014.

  • Wilke, Sabine und Japhet Johnstone (Hg.): Readings in the Anthropocene: The Environmental Humanities. Ann Arbor 2017.