Sabine Schülting, Professorin für Englische Philologie and der FU Berlin, sprach am 4. Dezember 2013 über: „'Enter Jessica'. Shylocks Tochter auf der deutschen Bühne des 20. und 21. Jahrhunderts".
Ein Blick auf neuere Inszenierungen von William Shakespeares Der Kaufmann von Venedig lässt einen überraschenden Wandel in der deutschen Rezeption des Stücks erkennen. Schien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach dem „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) des Holocaust, das Schicksal von Shakespeares ‚Problemstück‘ besiegelt und eine unreflektiert komische Inszenierung des Stücks nicht mehr möglich, deutet sich seit den 1990er Jahren ein Aufbrechen dieses Konsenses an und ist wiederholt der Versuch unternommen worden, den Kaufmann von Venedig aus dem bis dato dominanten Interpretationsmuster herauszulösen. Dies zeigt sich unter anderem in solchen Regieentscheidungen, Shylocks jüdische Identität nicht explizit zu markieren, insbesondere aber auch in der Aufwertung der Rolle Jessicas, Shylocks Tochter, die den Vater bestiehlt, mit ihrem christlichen Geliebten durchbrennt und zum Christentum konvertiert. Spielte Jessica traditionell eher eine Nebenrolle, ist Der Kaufmann von Venedig nun verschiedentlich zu Jessicas Stück geworden. Im Zentrum der Überlegungen sollen die Implikationen solcher oftmals irritierenden Überlagerungen von Geschlechterverhältnissen, religiösen und ethnischen Differenzen stehen.