Sigrid Weigel
Der Vortrag fragt nach der Genese des Mitgefühls, dessen große Erzählung zumeist entlang der Diskurse über das Mitleid überliefert wird: von Aristoteles über Descartes, Smith, Humes u.a. bis zur neurowissenschaftlichen Renaissance der Empathie. Aufgrund des überwiegend präskriptiven Charakters dieser Texte ist ihre Aussagekraft für die Kulturgeschichte des menschlichen Mitgefühls jedoch relativ. Stattdessen greift der Vortrag auf Überlieferungen zurück, die Auskunft über Ausdrucksgebärden des (Mit-) Gefühls geben, vor allem auf performative Formen und Pathosformeln als Quellen der ‚verkörperten’ Kultur. Im Zentrum steht das Nachleben antiker Trauergebärden in der Formierung der christlich geprägten Gesellschaft und die Spannung, in der sie zur kulturellen Modulierung von dessen corpus communis stehen: die Genese einer spezifischen Form des Mitgefühls aus der gemeinsamen Beweinung.
Sigrid Weigel ist Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung, Berlin.