Nadine Schibille
Während der römischen und frühen mittelalterlichen Zeit erfolgte die Herstellung von Rohglas, das heißt das Schmelzen von Sand und Flussmitteln, in einer begrenzten Anzahl großer Produktionszentren. Nur wenige Herstellungsorte sind archäologisch belegt, sie befinden sich an der levantinischen Küste und in Ägypten. Dieses Rohglas wurde anschließend über verzweigte Handelswege an weiterverarbeitende Betriebe im gesamten Mittelmeerraum und bis nach Zentral- und Nordeuropa verschifft. Da sich das Glas aufgrund unterschiedlicher Rohstoffe durch charakteristische Zusammensetzungen auszeichnet, kann eine chemische Analyse auf den Ursprung der Gläser schließen lassen. Die chemische Untersuchung von Glas bietet daher einen vielversprechenden Ansatz, Verteilungswege von den Standorten der Primär-produktion über die Sekundärwerkstätten bis hin zum Endverbraucher nachzuzeichnen. Veränderungen in der Verfügbarkeit einzelner Glasgruppen und lokale Variabilität kann Aufschluss über Handelsbeziehungen und kulturübergreifenden wirtschaftlichen und kulturellen Austausch geben. Mein von der Europäischen Kommission gefördertes Projekt GlassRoutes untersucht, auf welche Weise geopolitische Konstellationen die Herstellung und den Einsatz von Glas beeinflusst und zu Innovationen und einer Diversifizierung der Glasproduktion in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends geführt haben. Methodologisch ist die Integration von chemischen, archäologischen und dokumentarischen Daten vorgesehen, um einen Bezug zwischen der Herkunft des Materials, seiner Verwendung und Bedeutung herzustellen. Es sollen speziell die wirtschaftlichen und kulturellen Mechanismen aufgezeigt werden, die der Verwendung des Werkstoffes Glas zugrunde liegen.
Der Vortrag wird anhand spezifischer Forschungsergebnisse unterschiedliche Aspekte der Produktion, Verbreitung und Verwendung von Glas im ersten Jahrtausend vorstellen und vor allem kulturübergreifende als auch kulturspezifische Phänomene diskutieren. Fragen technischer Neuerungen in der byzantinischen und islamischen Glasherstellung werden behandelt, sowie die kontinuierliche künstlerische Verwendung von Glas zum Beispiel in der Herstellung von Mosaiken und Fenstern. Durch die Gegenüberstellung technischer und künstlerischer Ergebnisse lässt sich letztendlich die kulturelle Bedeutung des Materials erfassen.
Nadine Schibille lehrt Kunstgeschichte an der Universität von Sussex.