Mechthild Fend
Der Vortrag widmet sich pathologischen Bildern und einem kuriosen Haarphänomen, das während der Frühen Neuzeit und bis zum Ende des 19. Jahrhundert als Krankheit bezeichnet und mit der Bevölkerung Osteuropas, insbesondere Polens, in Verbindung gebracht wurde: die Plica Polonica, im Deutschen auch Weichselzopf genannt. Das Phänomen bestand – so die historischen Berichte – aus Haaren, die derart verfilzt waren, dass sie unentwirrbare Strähnen formen, allerlei Sekrete absondern und womöglich beim Abschneiden bluten. Wir könnten das mit den reformerischen Ärzten, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts die ‘Irrlehre der Plica Polonica’ bekämpften, als ein reines Hygieneproblem abhandeln. Viel interessanter ist es jedoch zu überlegen, welche Rolle die lokalisierte Haarkrankheit – ein Grenzphänomen im doppelten Sinne – im europäischen Imaginären spielte.
Die Frage wird hier speziell für die frühe französische Dermatologie und die Illustrationen zu Jean-Louis Alibert’s Description des maladies de la peau observées à l'hôpital Saint Louis (1806) gestellt, wo das Erscheinungsbild der Plique Polonaise mit dem von Furien oder dem Haupt der Medusa verglichen wird. Genau diese Figuren und Bilder spielen zur gleichen Zeit auch in der Auseinandersetzung mit den gewaltsamen Aspekten der Französischen Revolution – der Guillotine und der Terreur – eine wichtige Rolle und die These ist, dass über die angeblich polnische Haarkrankheit genuin französischen Probleme verhandelt werden. Wie gehen die Bilder mit dem schreckenerregenden Anblick um, und welche bildtheoretischen Überlegungen lassen sich an Hand der pathologischen Bilder anstellen?
Mechthild Fend lehrt Kunstgeschichte an der Universität London