Susanne Schröter
Kulturelle Vielfalt ist ein wesentliches Merkmal moderner Gesellschaften, und sie fordert sowohl den einzelnen Menschen als auch die Politik und Zivilgesellschaft heraus. Lokale Bevölkerungen werden dazu genötigt, ihre eigenen Werte zu überdenken und die Grenzen des Akzeptierbaren auszuloten, Migrant(inn)en mit der Zumutung konfrontiert, sich nicht nur räumlich, sondern auch sozial und kulturell neu zu orientieren. Hybridkulturen entstehen, ungewohnte soziale Bezugsrahmen und Identitäten, die fluid und spielerisch, aber auch starr und repressiv sein können. In der Diaspora kann die kulturelle Verunsicherung so groß sein, dass Gemeinschaften sich jeglicher Veränderung entziehen und die Bewahrung von Normen einfordern, die in den jeweiligen Herkunftsregionen längst erodiert sind.
Aushandlungsverfahren um kulturelle Normen sind immer konfliktiv – sowohl auf der Ebene der Handlung als auch der Rede. Dafür stehen Kontroversen um Gendernormen, die in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik für polarisierte Diskurse gesorgt haben. Beispiele sind Debatten um Zwangsheiraten, Ehrenmorde, Verschleierungspraktiken von Frauen und Mädchen, sexuelle Übergriffe wie in der Silvesternacht 2015 und andere Formen von sexualisierter Gewalt.
Susanne Schröter ist Direktorin des Instituts für Ethnologie an der GU Frankfurt und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI), Principal Investigator im Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Direktorin im Cornelia Goethe Centrum für Geschlechterforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und Vorstandsmitglied des Deutschen Orient-Instituts.