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Mit „dis/ability“ die Allgemeine Geschichte neu schreiben? Eine interdisziplinäre Debatte

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Anne Waldschmidt, Cordula Nolte

In einem Jahrhunderte währenden, mit der Entwicklung der Moderne parallel verlaufenden Prozess und in Abhängigkeit von allgemein gesellschaftlichen Entwicklungen, aber auch mit eigener Dynamik ist allmählich eine Differenzierungskategorie entstanden, die wir im deutschsprachigen Raum heute Behinderung (disability) nennen. Zugleich, sozusagen als Kehrseite der Medaille haben sich Vorstellungen von Gesundheit, Funktionsfähigkeit und Normalität formiert, die tief in unserer Gesellschaft und Kultur verankert sind. Diese Vorstellungen zu historisieren hat sich die Disability History vorgenommen, eine Forschungsperspektive im Anschluss an die internationalen Disability Studies, die im Kontext der sozialen Bewegung behinderter Menschen, beeinflusst durch kritische Gesellschaftstheorie und postmoderne Kulturtheorien entstanden sind. Ihr wissenschaftliches Programm zielt auf die Kritik des in den Rehabilitationswissenschaften vorherrschenden individuellen Behinderungsmodells. Das sozial- und kulturwissenschaftlich aufgestellte Forschungsfeld hat zwei eigene Heuristiken entwickelt, zum einen ein soziales Modell, zum anderen ein kulturelles Modell von Behinderung. Dem sozialen Modell geht es darum, den Zusammenhang von Gesellschaft und Behinderung, von Inklusions- und Exklusionsprozessen zu verstehen; das kulturelle Modell geht von einem dekonstruktivistischen Analyserahmen aus. Begreift man in diesem Sinne Behinderung als eine Leitkategorie moderner Gesellschaften, bietet sich die Chance, im Rahmen von Dis/ability History nicht nur Geschichte(n) der Behinderung, sondern auch die allgemeine Geschichte neu zu schreiben. Dabei ist nicht nur für das 19. und 20. Jahrhundert, sondern auch, wie neuere mediävistische Studien zeigen, für vormoderne Gesellschaften zu prüfen, ob und in welchem Sinn sie Behinderung als handlungsleitendes Konzept kannten. 

Anspruch und Forschungsprogramm der Disability sollen in einem interdisziplinären Gespräch reflektiert und kritisch hinterfragt werden. Es diskutieren Prof. Dr. Cordula Nolte als Vertreterin der Geschichte des Mittelalters und des Forschungsprogramms „Disability History der Vormoderne“ an der Universität Bremen und, mit zeitgeschichtlichem Fokus, Prof. Dr. Anne Waldschmidt, Soziologin und Professorin für Disability Studies an der Universität zu Köln.

Veröffentlichungen (Auswahl)

Elsbeth Bösl, Anne Klein, Anne Waldschmidt (Hrsg.): Disability History. Konstruktionen von Behinderung in der Geschichte. Eine Einführung. Bielefeld (transcript) 2010

Cordula Nolte (Hg.): Phänomene der „Behinderung“ im Alltag – Bausteine zu einer Disability History der Vormoderne (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters), Affalterbach 2013.

Cordula Nolte: Begriffe und Merkmale vormoderner „Disability“. Beobachtungen zum Arbeitsstand. In dies. (Hg.): Phänomene der „Behinderung“ im Alltag, Affalterbach 2013., S. 345-352.

Anne Waldschmidt: Eine andere Geschichte schreiben? Überlegungen zur Historiografie von ‚Behinderung‘ im Anschluss an die Disability Studies. In: Oliver Musenberg (Hrsg.), Kultur – Geschichte – Behinderung. Die kulturwissenschaftliche Historisierung von Behinderung. Oberhausen (Athena) 2013, S. 101-120

Mittwoch, 21.05.2014
Beginn: 18:00
Veranstaltungsort
IG 411
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Veranstalter
Mittwochskonferenz
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