Sébastien Févry
<p>Der Vortrag nimmt die Welle nostalgischer Kinoproduktionen in Frankreich in den Blick, die während der Präsidentschaftszeit Nicolas Sarkozys ihren Höhepunkt fand und von einigen Filmkritikern als sepia cinema bezeichnet worden ist. Nach dem Erfolg von Les Choristes (Barratier 2004, dt. Die Kinder des Monsieur Mathieu) erschien eine größere Zahl an Filmen, die auf gewisse Art altmodisch erscheinen – wie etwa Le Petit Nicolas (Tirard 2009, dt. Der kleine Nick) oder La Nouvelle Guerre des Boutons (Barratier 2011, dt. Krieg der Knöpfe). Interessant an diesen Filmen ist das idealisierte Vergangenheitsbild, das sie in einer französischen Gesellschaft zeichnen, die zusehends auf ihre nationale Erinnerung fixiert ist, wie etwa die im Oktober 2009 von Eric Besson ausgelöste Debatte um die Frage nach einer nationalen Identität gezeigt hat. </p>
<p>Der Beitrag beschäftigt sich mit den Erinnerungsdynamiken, an denen das sepia cinema in den soziokulturellen Kontexten Frankreichs teilhat. Genauer möchte er zeigen, dass das Verhältnis zwischen politischen Raum und sepia film weitaus komplexer ist als das Phänomen einer einfachen Echokammer. Der Erfolg des sepia cinema sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Erinnerungspolitik der Sarkozy-Regierung einen beträchtlichen Fehlschlag mit zahlreichen stark kritisierten Initiativen darstellte, die letztendlich wieder aufgegeben werden mussten. Im Kontext einer geschwächten Erinnerungspolitik findet das sepia cinema seinen Widerhall in familiären Erinnerungen – und die Mobilisierung dieser erscheint im Hinblick auf die Herstellung und Weitergabe kollektiver Erinnerung weitaus wirkungsvoller als der politische Rückgriff auf eine nationale Erinnerung.</p>