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Studiengruppe FF5: Appropriation. Ethische, ästhetische und politische Dimensionen von Aktualisierung

Sprecherinnen: Prof. Dr. Dr. Judith Kasper, Prof. Dr. Christine Ott

Lehrende:

Prof. Dr. Astrid Erll, Prof. Dr. Dr. Judith Kasper, Prof. Dr. Susanne Komfort-Hein, Prof. Dr. Heidi Lucja Liedke, Prof. Dr. Christine Ott, Prof. Dr. Susanne Scholz, Prof. Dr. Romana Radlwimmer, Prof. Dr. Zhiyi Yang, Dr. Martina Allen, Dr. Lena Schönwälder, Dr. Daniel Dornhofer

Doktorand*innen:

Andrea Baldan, Nina Heise, Larissa Krampert, Eleonora Paradisi Miconi, Christoph Roeber, Anna Yeliz Schentke,

Studierende:

Inna Donetska, Mandy Gratz, Andrea Hartmann, Larissa Krampert, Simon Prahl, Gloria Putrone, Lisa Stocker

Organisation/Kontakt: Judith Kasper, Christine Ott

Aktuell:

Komparatistische Tagung: Figurationen des Anderen in frühneuzeitlicher 
Literatur und deren politische Aktualisierungen im 20. und 21. Jahrhundert.
31.1.2024 - 2.2.2024 an der Goethe-Universität Frankfurt
(Kontakt und Organisation: Prof. Dr. Christine Ott, Dr. Lena Schönwälder)

Save the date:

Workshop: "Fanfiction und Aneignung"
14.02.2024 - 10 Uhr - Goethe Uni, Campus Westend, NG 2.701

10:00 Nina Heise: Fanfiction & Appropriation: vom Aneignen von Quelltexten bis zur Arbeit am nationalen Gedächtnis (Nina Heise)
11:00 Vera Cuntz-Leng: Fundamentally People: Mit Fanfiction dem Fanobjekt Sinn geben
12:00 Pause
12:30 Judith Brottrager: Von Adaption zu Transformation: Eine quantitative Untersuchung von Charakterverschiebungen in Harry-Potter-Fanfiction
13:30 Patricia Heise: „Dem Dichterpaar“: Goethe/Schiller queer lesen

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Profil

Populistische Diskurse, Rassismus, Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und Wissenschaftsskepsis greifen in den westlichen Demokratien massiv um sich und gefährden bzw. attackieren die Grundlagen demokratischen Zusammenlebens. Als eine signifikante Kraft gegenwärtiger Transformationen politischer Topografie, gesellschaftlicher und kultureller Tektonik erscheint in diesem Zusammenhang die Kulturalisierung der Politik, bisweilen als Schauplatz von eskalierenden culture wars. Wir erleben eine problematische Konjunktur identitären Denkens und fundamentalistisch aufgeladener identitätspolitischer Konflikte, die zunehmend den Spielraum der kritischen Reflexion, der Differenzierung, das Aushalten von Ambivalenzen und Ambiguitätstoleranz verengen – auch an den Universitäten. Essentialistische Identitätsdiskurse und Wissenschaftsskepsis beschneiden auch dort den Möglichkeitsraum der kritischen Reflexion, wo Differenzierung und Ambiguitätstoleranz gepflegt und eingeübt werden sollen.

Die gegenwärtige Radikalisierung und Verengung der Diskursräume stellt sich als eine besondere Herausforderung für die gesellschaftlichen Vermittlungen des wissenschaftlichen Umgangs mit Literatur, Kunst und Medien dar: wenn es zum Beispiel die Darstellung Mohammeds in Dantes Commedia im Anbetracht grassierender Islamophobie zu betrachten gilt oder den Shylock-Charakter in Shakespeares Merchant of Venice vor dem Hintergrund des wiedererwachten Antisemitismus oder Geschlechterkämpfe und sexuelle Gewalt im Kontext einer durch die #metoo-Debatte sensibilisierten Gesellschaft. Leserinnen und Leser finden heute in derartigen Texten und Bildern ihre aktuellen Fragen, Vorurteile und Ängste – häufig allzu schnell – bestätigt. Das Spannungsfeld von Historisierung und kritischer Aktualisierung gilt es stets neu auszumessen.

Allgemein gesprochen ist jede Lektüre eine Aktualisierung. Jede Lesart spricht von den Gewissheiten und den Bedürfnissen der Gegenwart, in der sie vorgenommen wird, vom Selbstverständnis der Leserin oder des Lesers, die bzw. der sie vornimmt. Abhängig von Genre, Zielpublikum und Aussagesituation sind diese Aktualisierungen unterschiedlich wirkmächtig, aber alle transportieren vergangene Gedankengebäude in die Gegenwart und setzen dabei verschiedene Zeitebenen wie auch politische, kulturelle und ideologische Kontexte miteinander in Beziehung. Wie diese Beziehung bedeutungstragend ausgestaltet wird, hängt auch von der situativen Einbettung ab: gelehrte Debatten über Dante gehen hier anders vor als populäre Aufführungen eines Stückes von Shakespeare. Re-writes, prequels und sequels, spin-offs, fan-fiction, aber auch Übersetzungen, Kommentierungen und Adaptionen arbeiten mit den bekannten (oft kanonischen) Texten und passen sie ganz bewusst in eine neue Gegenwart ein. Neu-Inszenierungen und Verfilmungen leisten intermediale Transfers, die ebenfalls im Horizont der jeweiligen Gegenwart Bedeutung erzeugen. Trotz der unterschiedlichen medialen und ästhetischen Ausgestaltung ergeben sich in allen Fällen ähnliche Fragehorizonte. Im Licht gegenwärtiger Debatten über Ausgrenzung und kulturelles Hegemonialverhalten stellt sich hier besonders das Problem der kulturellen Aneignung, des problematischen aber unvermeidlichen Zu-Eigen-Machens des (Quellen-)Textes oder -Werkes, welches die Studiengruppe unter dem Stichwort Appropriation untersuchen möchte und damit einen Begriff wählt, dem Konflikt und Kritik eingeschrieben sind.

Ausgehend von der Beobachtung, dass in den gegenwärtigen identitätspolitischen Auseinandersetzungen die Praxis bzw. der Vorwurf kultureller Aneignung (culturalappropriation) einen prominenten Konfliktpunkt darstellt, gilt es, sich die Begriffsdimensionen zu vergegenwärtigen: ‚Aneignung‘ begegnet uns als ein rechtlicher, politischer, philosophischer und ästhetischer Begriff. Nicht nur diesbezüglich eignen ihm unterschiedliche, eben auch widersprüchliche Bedeutungen. Das betrifft negative Konnotationen der mit Macht- und Ausbeutungsverhältnissen verbundenen ‚Enteignung‘, ‚Besitzergreifung‘ einerseits; andererseits positive bzw. neutrale Dimensionen produktiver, aktualisierender Aufnahme, Transformation und (Re-)Kontextualisierung oder auch ein machtkritisches, subversives Potential (u.a. in postkolonialer Theorie). Die Perspektive hängt vom konkreten Diskurskontext und von einem mit der Vorstellung von Eigentum verknüpften essentialistischen oder nicht-essentialistischen Verständnis von Kultur und Identität ab. Mehr noch als im auch umgangssprachlich vertrauten Begriff der Aneignung zeichnet sich sein Synonym der Appropriation durch diese bis zum Zerreißen aufgespannten semantischen Ambivalenzen aus (vor allem der englischsprachige Begriff). Die Rede von cultural appropriation, die sich in den 1970er Jahren in den Cultural Studies etablierte, ist sowohl mit der Kritik an Dominanzverhältnissen und (kolonialer bzw. kapitalistischer) Ausbeutung verbunden als auch mit Kritik an essentialistischen Kulturkonzepten und beschreibt Transformationsprozesse und Wechselwirkungen, wie sie etwa auch Diskurse der Transkulturalität, Kreolisierung, Glokalisierung und Transnationalität thematisieren.

Basisliteratur

  • Albrecht, Andrea/ Moritz Schramm/ Tilman Venzl (Hg.): Literatur und Anerkennung. Wechselwirkungen und Perspektiven. Wien 2017.
  • Appiah, Kwame Anthony: The Lies That Bind. Rethinking Identity. New York 2018
  • Brunk,Conrad G./ James O. Young: The Ethics of Cultural Appropriation. New York 2012.
  • Cassin, Barbara: Vocabulaire des philosophies européennes. Dictionnaire des intraduisibles. Paris 2004.
  • Citton, Yves: Lire, interpréter, actualiser. Pourquoi les études littéraires? Éditions Amsterdam 2007.
  • Distelhorst, Lars: Kulturelle Aneignung. Hamburg 2021.
  • Erll, Astrid/ Ann Rigney (Hg.): Mediation, Remediation and the Dynamics of Cultural Memory. Berlin/New York 2009.
  • Gilbert, Annette (Hg.): Wiederaufgelegt. Zur Appropriation von Texten und Büchern in Büchern. Bielefeld 2012.
  • Greilich, Susanne/ Karen Struve (Hg.): „Das Andere Schreiben“. Diskursivierungen von Alterität in Texten der Romania (16.-19. Jahrhundert). Würzburg 2013.
  • Hardwick, Lorna: Reception Studies. Cambridge: Cambridge UP 2009 (2003).
  • Horn, Mirjam: Postmodern Plagiarisms. Cultural Agenda and Aesthetic Strategies of Appropriation in US-American Literature (1970-2010). Berlin/Boston 2015.
  • Macé, Marielle: Sidérer, considérer. Migrants en France. Paris  2014.
  • Rothberg, Michael: Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization. Stanford UP 2009.
  • Samoyault, Tiphaine: L'intertextualité: Mémoire de la littérature. Paris 2001.
  • Strang, Veronica/ Mark Busse (Hg.): Ownership and Appropriation. Oxford/New York 2011.
  • Tate, Greg: Everything but the Burden. What White People are taking from Black Culture. New York 2003.

Ziele

Verbundantrag im Rahmen des VW-Förderprogramms „Aufbruch“; Sachbeihilfe-Anträge bei der DFG; regelmäßige Workshops

Veranstaltung: Workshop ‚Popular Adaptations’ am 15.7.2022

The cultural work of popular adaptations can be approached from different angles. For one, we discuss them in the light of notions of intertextuality, intermediality, cultural memory and (cultural) capital. Canonical (and other) works must be made to fit new cultural and social surroundings in order to ‘survive’, so adaptation is (as Linda Hutcheon teaches us) about transcoding a text into a different set of conventions. From a more ‘political/critical’ perspective, popular adaptations often give a voice to the underrepresented, fix blatant exclusions, tell a story from a new point of view. But the question bears asking: why do we rehash these ‘master narratives’ and figures again and again, although they are, by our own standards, blatantly racist, sexist, anti-semitic or homophobic? How do adaptations (and how do we as teachers) deal with their embarrassments? How can we do justice to both the ‘classical’ text and our cultural self-image and sensitivities?

This workshop sets out to engage with questions of popularization, re-telling and remediation, cultural appropriation and political instrumentalization of (not only) European master narratives.

Susanne Scholz: Actualization, Adaptation, Appropriation

Sabine Schülting: Spectral Shakespeares

Nina Heise: Harry Potter-Fanfiction

Astrid Erll & Zhiyi Yang: The return of classical forms in popular culture: A comparison of Chinese and Greek classicisms today